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Geschichten aus Hirschfurten I – In den Sümpfen des Ostens

Geschichten aus Hirschfurten I – In den Sümpfen des Ostens

Er hatte sich schon oft gefragt, warum nie ein König auf die Idee gekommen war, das Reich im Osten einfach zu erweitern. Mit einer großen Expeditionsarmee über die Furten, tief hinein ins Feindesland und dann dort bleiben. Nun wusste er warum…

Meilenweit Sumpfland, soweit das Auge blicken konnte. Fern im Osten und eher zu erahnen als zu erkennen ragten finstere Bergzinnen in den blauen, nur von vereinzelten Wolken durchzogenen Herbsthimmel. Doch weder die strahlende Sonne noch die schier unbegrenzte Freiheit dieses Landes vermochten ihn zuversichtlich zu stimmen. Eine unausgesprochene und nicht ganz greifbare Bedrohung lag über den Myriaden von Seen, Bächen und Hainen die das Bild der Ebene bestimmten. Und er wusste, dass viele der alten Geschichten dieser Gegend nicht bloß Märchen waren. Die Berichte in dem Archiv der H-RAVE waren ziemlich ausführlich und belegten, dass den Legenden um die grausamen Riten der Ausgestoßenen und ihre schwarze Magie durchaus Glauben geschenkt werden musste. Doch diese latenten Gefahren waren gerade nicht sein Problem. Er atmete tief ein und nickte zackig um sich von den abschweifenden Gedanken zu lösen und seinen Geist wieder auf das zu fokussieren, was gerade am meisten zählte, Überleben.

Mit schnellen Schritten verließ er die niedrige Anhöhe auf die er aus dem dichten Wald heraus getreten war. Sein nächstes Ziel war eine größere Gruppe von knorrigen, niedrig gewachsenen Weiden auf einer kleinen, in einen mit Wasserpflanzen zu gewucherten See hineinragenden Landzunge. Hier wollte er sich verbergen und zunächst ein wenig zu Kräften kommen bevor seine Flucht weiter gehen sollte. Und sie musste weitergehen, denn die Verfolger schienen ihm dicht auf den Fersen sein. Sie mochten keine Hunde haben, doch sie kannten dieses Land weitaus besser als er es vermochte. Sie kannten es besser als überhaupt ein Mensch westlich des großen Flusses es je kennen könnte, denn es war ihr Land. Das Sumpfland jenseits des Flusses gehörte den Ranzlern.

Zwischen den leise raschelnden Blättern der kauernden Weiden an einen moosbewachsenen Stamm gelehnt knabberte er an einem Stück Dörrfleisch und ließ die letzten Stunden an seinem inneren Auge vorbeiziehen. Der Offizier und sein Kamerad waren tot. Er allein hatte dem Hinterhalt entkommen können und auch das nur mit mehr Glück als Geschick. Denn hätte der Schreck über den Schrei und das plötzliche Zusammenbrechen seines älteren Gefährten ihn nicht einen unbedachten Schritt zurück machen lassen, er wäre nicht die ihren Pfad begrenzende Böschung hinab gestürzt und von den Speeren und Pfeilen ebenso getroffen worden wie die beiden anderen. So aber hatte er aus einigen Schritten Entfernung mitansehen müssen, wie zuerst sein Freund zu Boden ging und dann der Anführer des kleinen Trupps, das Schwert noch nicht ganz aus der Scheide gezogen, von einem Speer an den nächsten Baum genagelt wurde. Mindestens Fünf finstere Gestalten hatten sich sodann aus dem Dickicht aufgemacht um den Mannen den Rest zu geben. Fünf die er erkennen konnte, und damit mindestens drei zu viel für seine Fähigkeiten. Er war über die Böschung in die abfallende Senke und ins nächste Gebüsch geflüchtet, durch Dornen und dichtes Astwerk gehetzt und hatte nicht angehalten bis er aus dem Wald heraus getreten war. Immer wieder waren die Rufe seiner Verfolger und der Lärm brechender Äste zu ihm gedrungen und hatten ihn angetrieben. Nun aber bildete das Flüstern der Blätter im Wind zusammen mit den Lauten der tierischen Sumpfbewohner eine trügerische Stille. In Sicherheit mochte er sich nicht wähnen. Doch im Sinnen an seine Fähigkeiten entschied er, dass es durchaus möglich sein sollte, einen weiten Bogen durch die sumpfige Ebene zu schlagen, am Rande der nördlichen Wälder zurück bis zum Fluss zu kommen und dann solange in südlicher Richtung dem Ufer zu folgen, bis er bei der Blauen Furt auf Wachtruppler stieß und zurück in die Heimat entkommen konnte. Er schloss die Augen um noch einen Moment auszuruhen und dann, mit mehr Kräften und einem gesunden Willen, den Marsch zu wagen…

Er erwachte aus bedrohlichen, nicht zu fassenden Träumen und mit dem Gefühl, dass ihm etwas schleimiges übers Gesicht gestrichen haben musste. Um ihn herum war die Luft mit dem durchdringenden Gequake unzähliger Frösche erfüllt und ein seltsames und undefinierbar vages Schimmern lag über allem. Der Mond stand nahezu voll am Himmel, doch da war noch mehr, ein unterschwelliges Leuchten, das eher dem morastigen Boden als dem fernen Himmel zu entstammen schien. Von mattem Unbehagen erfüllt und voller Ekel ob der Berührung die ihn hatte erwachen lassen strich er sich durchs Gesicht. Ein dünner Film hellen Schleimes blieb an seiner Handoberfläche haften. Es roch nach Moder und erzeugte ein leichtes Würgen in ihm. Mit wachsendem Schrecken sah er sich um. Wie lange hatte er geschlafen? Es mussten Stunden gewesen sein, das unerbittliche Resultat seiner immensen Erschöpfung. Mit zittrigen Händen tastete er nach seinen Sachen. Schwert, Beutel und auch die kleinen Taschen waren dort wo Sie hingehörten, nichts fehlte. Dennoch hatte er das Gefühl, irgendetwas sei verändert. Er erhob sich wacklig und versuchte, sich anhand des Mondstandes und des nahen Waldrandes zu orientieren. Es gelang ihm, zumindest halbwegs Sicherheit über die Himmelsrichtungen zu erhalten und das genügte ihm um sich aufzuraffen und den langen Marsch zu beginnen. Aus dem Weidengebüsch hinaus und hinein ins Ungewisse.

Was bei Tag bereits anstrengend sein musste, stellte sich im blassen Licht der Nacht als halsbrecherisches Unterfangen heraus. Selten ließ es sich mehr als zehn Schritte geradeaus gehen ohne von einer Wasserfläche, zu sumpfigem Boden oder undurchdringlichem Dickicht aufgehalten zu werden. Ständig musste er die Richtung wechseln und mehr als nur einmal wäre er fast in das nachtkalte und stinkende Wasser ausgeglitten. Dabei wurde er ohne Unterlass vom dröhnenden Gesang der feisten Amphibien begleitet, deren aufgedunsene Körper er zuweilen am Wegesrand ausmachen konnte und deren Klatschen er nur zu deutlich vernahm, wenn sie vor ihm ausweichend in das mit Entengrütze bedeckte Nass sprangen. All dies erschien ihm unwirklich und beängstigend, denn obwohl kein Wind über das Land zu blasen schien, waren Büsche und Bäume um ihn herum stets voll von sich heimlich oder offenkundig bewegenden Schatten. Überall schien verstohlene Bewegung zu herrschen. In ihm kam der Gedanke auf, dass es kaum verwunderlich war, dass die Ranzler so waren wie sie eben waren, wenn denn dieses unwirtliche Land auf sie abfärbte. Musste man nicht zwangsläufig zu einer hinterlistigen verstohlenen Kreatur werden, wenn all die Fauna um einen herum von dieser Natur war? Er musste Schmunzeln als er sich seiner Herkunft besann, denn seit unzähligen Generationen hatte seine Familie nun in Hirschburg, dem Mittelpunkt des Hirschfurtener Landes gelebt und gedient. Schon als Kind hatte man ihn Pflichtgefühl und Wahrhaftigkeit gelehrt, und da die Guten und Wahrhaftigen am Ende stets siegten, was sollte ihm geschehen in einem Landstrich, in dem der höchste Würdenträger noch immer weit unter dem niedersten Pöbel westlich des großen Flusses stand.

Jäh gefror ihm sein selbstsicheres Lächeln zur Grimasse, denn just in diesem Moment ließ ihn die Szenerie die sich vor ihm am Rande eines matt schimmernden Teiches auftat erstarren. Über den Rand des niedrigen Ufers zog sich etwas, größer als einer jener fetten Frösche, ja sogar größer noch als ein stattlicher Hund, obgleich er ob des schlechten Lichtes eher schätzen musste als es klar zu erkennen. Ein feister, aufgedunsener Körper zog sich mit schwammigen Bewegungen genau in seinen Weg. In riesigen Glubschaugen spiegelte sich das fahle Mondlicht, und er konnte einen Schrei nicht unterdrücken, als die unförmige Kreatur sich aufrichtete und ein riesiges, zahnbewehrtes Froschmaul mit einem saftigen Schmatzen vor ihm geöffnet wurde. Öliger Verwesungsgestank stieg ihm in die Nase und seine Augen tränten, während er die aufkommende Übelkeit unterdrückte. Das Krötenwesen hockte nun Kalbsgroß vor ihm. Es mochte nur eine Sinnestäuschung sein, doch es schien, als leckte sich sein Gegenüber in lustvoller Gier über die schwammigen Lippen oder eher Maulränder, den starren Amphibienblick lauernd auf ihn gerichtet. Für einen Moment überlegte er, sein Schwert zu ziehen und dem Ungetüm entgegen zu treten. Dann aber besann er sich, denn wer konnte schon sagen, was zu tun dieses Ding im Stande wäre. Ein unbedachter Schritt, ein Ausgleiten im nassen Morast und das Monstrum mochte über ihn kommen. Als sich das Wasser hinter der Kreatur zu kräuseln begann und weitere Krötenhäupter aus der Grütze auftauchten nahm der Schrecken überhand. Er wich zurück und rannte, strauchelnd und rutschend in die Richtung aus der er gekommen war.

Seine Lungen brannten und seine Kleidung war durchnässt und zerrissen, doch immerhin hatten das tiefe gurgelnde Quaken und die mächtigen und erstaunlich schnellen platschenden Schritte hinter ihm aufgehört. Erschöpft ließ er sich neben einem Haselstrauch nieder und atmete durch. Was in aller Welt waren das für Monstren gewesen? Kein Bericht hatte sie je erwähnt, so war er offenbar der erste Furtländer der sie sah. Oder die anderen hatten nur nichtmehr von ihrer Begegnung berichten können. Er besah die blutigen Kratzer an seinen Beinen und Armen. Nichts wildes, aber als er die zerrissenen Hosenbeine hochzog musste er feststellen, dass sich unbemerkt eine ganze Hand voll eklig schleimiger Blutegel in sein Bein verbissen hatten. Er hatte von diesen Parasiten bereits gehört, die sich in die Haut eines Mannes verbeißen können und ihn langsam aussaugen, bis sie feist sind und dem Opfer ob der Blutarmut die Sinne schwinden. Der Gedanke, hier in dieser tückischen Wildnis wehrlos den Schrecken der Sümpfe ausgeliefert zu sein machte ihm Angst. Wie viel Zeit hatte er wohl, bis die unförmigen Würmer ihn zu sehr geschwächt hatten? Er ergriff den mit einer Handspanne Körperlänge längsten der Blutsauger und riss kräftig. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen, und als sich das runde Maul von seiner Wade löste quoll ein ganzer Schwall dunklen Blutes aus der Wunde. Er fluchte laut und begann fahrig nach den Verbänden in seiner Gürteltasche zu wühlen.

„Du musst Sie anbrennen, dann lassen Sie von alleine los und es blutet auch nicht so stark.“ Er fuhr zusammen und hatte das Gefühl im müsse vor Schreck das Herz stehenbleiben. Die Laute wilder Tiere, das platschende Tappen der Sumpfmonster, rufe der Verfolger des Vortages, das alles wäre schlimm, aber zumindest nicht unerwartet gewesen. Die helle Stimme einer jungen Frau jedoch war in seiner Lage so abwegig, dass er lediglich vermochte vollkommen entgeistert zu eben jenem Mädchen zu starren, das soeben zu ihm gesprochen hatte. Ein gequältes Krächzen entfuhr seinen Lippen und fahrig glitt seine Hand zum Schwertgriff. Das Mädchen wich zurück und hob erschrocken die Hände. „Ich, ich wollte dich nicht erschrecken. Bitte.“ Sie deutete auf das Schwert und schüttelte leicht den Kopf. „Bitte, ich will dir nichts tun. Ich bin nicht dein Feind.“ Er sah auf seine Hand, und brauchte einen Moment um wieder zu klarem Verstand zu finden. Der Schreck war ihm in sämtliche Glieder gefahren und sein Herz klopfte als müsse es zerspringen. „Du, wer bist du, was machst du hier? Was um alles in der Welt?“ Der verzweifelte Unterton verlieh seinen Worten eine beharrliche Dringlichkeit, seine Stimme jedoch versagte ihm fast den Dienst. Dennoch schien sein Gegenüber sich wieder etwas zu entspannen als sie mit beschwichtigender Geste antwortete. „Bitte, es gibt keinen Grund für Unbedachtes. Mein Name ist Gita, ich suche Kräuter, ich habe dich von weitem gehört und wollte sehen, wer oder was hier so ungestüm durch die Büche bricht. Ich wollte dich nicht erschrecken, bitte glaub mir.“ Er musste unwillkürlich mit dem Kopf schütteln, doch zumindest funktionierte seine Sprache wieder. „Das kann doch alles nicht wahr sein. Ich stehe hier mitten in diesem von allen Göttern verlassenen Sumpf, werde von verlausten Ranzlern verfolgt, werde von Froschmonstern gejagt und von Blutegeln ausgesaugt und plötzlich steht da ein, na stehst du hier so vor mir und es ist nichts? Du gehörst doch dazu, du bist doch auch eine von denen! Ich will nur hier weg, einfach nur weg aus diesem vermaledeiten Moor!“ Die letzten Worte hatte er fast geschrien, nun aber ließ der Schmerz in seinen Beinen ihn erneut zusammenfahren. Trotzig umklammerte er sein Schwert fester und suchte einen halbwegs sicheren Stand. Ihre freundliche Stimme nahm einen resignierten Unterton an als sie ihm kühl entgegnete. „Ach so. Von denen bist du einer. Ein stolzer Hirschfurtner, heh? Verirrte Wachtruppe oder H-Rave? Na jedenfalls kein verlauster Ranzler wie ich feststelle. Dich hat niemand eingeladen, also, was suchst du hier? Ein paar verlauste Ranzler fangen? Ein wenig Aufklärung betreiben, was hier Schlimmes vor sich geht. Bitte sehr, da hast du was zu melden an deinen arroganten Ritter. Hier laufen nachts junge Frauen rum und erschrecken unschuldige Soldaten auf feindseliger Mission.“ Er starrte sie mit weit offenem Mund an und wusste nicht was er sagen sollte. Schließlich besann er sich. „Das, das, …so ist das halt im Krieg. Ihr seid schließlich unsere Feinde.“ „Eure Feinde?“ Sie spie ihm die Worte entgegen. „Bin ich in euer Land eingedrungen, bewaffnet und im ‚Krieg‘? Ihr kommt doch zu uns, was zwingt euch? Euer Krieg interessiert mich nicht. Wir haben es hier schon schwer genug zu überleben, aber Du und die deinen, ihr wollt uns am liebsten alle tot sehen. Und wofür? Die Schlachten der Vergangenheit sind geschlagen. Wir leben hier im Dreck und ihr in euren behaglichen Hütten und frönt eurer ach so sprichwörtlichen Dekadenz. Was wollt ihr denn noch?“ Ihre Stimme war lauter geworden, doch nun raffte sie sich und sprach leise weiter. „Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich dachte nur, naja, du könntest vielleicht Hilfe brauchen. Aber von einer verlausten Ranzlerin willst du sicher keine Hilfe.“ Wieder fehlten ihm die Worte. Es entsprach nicht seinen Erwartungen was hier passierte, denn sie entsprach nicht seinen Erwartungen. Er rang mit sich. „Ich… bitte verzeih meine Worte. Das, …das war nicht freundlich von mir. Ich glaube, ich könnte wirklich Hilfe gebrauchen.“ Mit einem verlegenen Lächeln ließ er seine Hand vom Schwertgriff gleiten. Der Schreck war einer grundsätzlichen Verwirrung gewichen. Er hatte gelernt, dass die Menschen jenseits des Flusses Feinde waren. Und so hatte er sie kennen gelernt. Brutale Wilde die sich weit von dem entfernt hatten, was einen gesunden Menschen ausmacht. Voll Hass auf alles was westlich des Flusses lag, hässlich und verdreckt. Nun stand Gita vor ihm. Ein wenig jünger als er, wie er vermutete, und zumindest im fahlen Licht des Mondes auch nicht weniger ansehnlich als die Mädchen, die er aus Hirschburg kannte. Und so unerwartet freundlich. Sie lächelte. „Na dann komm mit. Hier draußen kann ich auch nicht viel für dich tun.“

Er folgte ihr zunächst wortlos, immer darauf bedachte die Schritte dorthin zu setzen wo sie entlang ging, denn er wollte nicht ausgleiten und ihr damit Grund geben, ihn noch geringer zu schätzen. Sie trug ein grobes dunkles Kleid, keine Stiefel oder Schuhe und hatte einen kleinen Korb bei sich, der halb mit irgendwelchen Blättern und Zweigen gefüllt war. Trotz des schlechten Lichtes schien es ihr keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten, den richtigen Weg zu finden. Vieles ging ihm im Kopf herum und so beschloss er, das Schweigen zu beenden. „Was tust du eigentlich hier draußen, so mitten in der Nacht im Sumpf? Ich meine, naja, anständige Mädchen schlafen um diese Zeit in Ihrer Stube und treiben sich nicht in der gefährlichen Wildnis herum.“ Sie blieb kurz stehen und sah ihn an als hätte er etwas unglaublich dummes gesagt. „Anständige Mädchen in Hirschfurten vielleicht. Solche die am Tage brav Honig sammeln und Wolle verspinnen, oder für den Wachdienst ausgebildet werden und Ihre Soldatenstiefel fein glänzend putzen? Hier ist das ein wenig anders. Hier versuchen wir zu überleben, da muss jeder tun was er kann. Ich habe Kräuter gesucht. Und ehe du fragst, ja bei Nacht. Es gibt bestimmte Heilkräuter im Sumpf die man bei Tage nicht entdecken kann. Ihre Blüten steigen bei Mondlicht aus dem Wasser, so kann man sie finden. Oder meinst du, ich setze mich den Gefahren des nächtlichen Moores aus weil ich den Nervenkitzel so liebe?“ Er fühlt sich in der Tat ein wenig dumm, versucht es aber zu übergehen. „Und diese Kreaturen? Diese riesigen Frösche, groß wie ein Kalb, mit Zähnen und Pranken wie ein Bär? Sowas habe ich noch nie gesehen.“ Sie lachte. „Waren die der Grund für deine hastige Flucht? Mit denen ist nicht zu spaßen. Aber sie sind langsam, und wenn du von Ihren Tümpeln fern bleibst lassen sie dich in der Regel in Ruhe.“ Wieder kam er sich vor wie ein Kind das dumme Fragen stellt. Die Selbstreflektion über sein Handeln nahm jedoch ein abruptes Ende, als seine Führerin stehen blieb und sich im zuwandte. „Wir sind da. Es mag nicht die Hirschburg sein, aber es ist besser als nichts.“ Vor Ihnen lag eine winzige Hütte, die abgesehen von ihrem mit einem schweren Lederstück verhangenen Eingang zur Gänze von Haselbüchen umringt war. Sie hob das Leder und deute mit einer vorsichtigen Geste an, dass er eintreten solle.

Der Raum in den er sich hineinbückte war kaum so hoch als dass er stehen konnte, jedoch größer als es von außen den Anschein gehabt hatte. Von der Decke hingen allerlei getrocknete Kräuterbündel und tote Vögel, der Boden war trocken und ordentlich ausgefegt. In einer Ecke stand ein großer geflochtener Korb mit allerlei Bechern, Töpfchen und Tiegeln darin, in einer anderen lag eine große Anzahl von Fellen, die offenbar ein Bett darstellten. Die Hütte hatte keine Fenster, nur einen Rauchabzug in der Decke, doch ein glimmendes Feuer in einer kleinen Grube in der Mitte des Raumes sorgte für ausreichende Helligkeit. In einem kleinen Topf der an einem Dreibein darüber hing dampfte eine wohlriechende Flüssigkeit. Sie schob ihn weiter und stellte ihren Korb an die Wand. „Ja, so leben wir hier. Und meine Hütte ist noch vergleichsweise sauber und ordentlich. Du kannst dich ruhig hinsetzen und ausruhen, hier lebe nur ich, du bist fürs erste sicher.“ Sie grinste ihn bereit an. „Andererseits bin ich ja auch eine von ihnen. Es könnte ja durchaus sein, dass ich dir in einem unaufmerksamen Moment die Kehle durchschneide.“ Ein verlegenes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. „Das war nicht so gemeint. Du bist keine von denen. Naja, also du bist natürlich doch eine von denen, aber du bist anders. Danke dass ich mich hier bei dir ausruhen darf. Es ist nur so, nun, du entsprichst nicht dem was so im Allgemeinen über deine Leute gesagt wird.“ Sie begann das Feuer ein wenig anzufachen und prüfte den Inhalt des Kessels. „Ich bin genau wie alle anderen die ihr Ranzler nennt. Das ist im Übrigen nicht der Name den wir selbst für uns verwenden. Wir bezeichnen uns einfach nur als Menschen. Ihr euch ja eigentlich auch, nur dass ihr auf uns herabblickt und es uns versagt als Menschen gelten zu dürfen. Lass mich deine Beine sehen.“ Er kam der Aufforderung nach und sah wortlos zu, wie sie sich um die Egel kümmerte. Mit einem glimmenden Hölzchen berührte sie kurz die mittlerweile dick gesaugten Würmer, es zischte und die runden Mäuler lösten sich von seiner Haut. Als alle herunter waren legte sie sie vorsichtig in eine kleine Holzschale und begann, mit frischem Wasser den Schmutz und das Blut herunter zu waschen. Sie tat dies routiniert und geschickt und er konnte sich nicht dagegen wehren, Dankbarkeit und Anerkennung zu empfinden. Er war ihr abweisend und unfreundlich gegenüber getreten, sie jedoch hatte ihn eingeladen und versorgt. „Hasst ihr uns?“ Fragte er. Sie sah zu ihm auf und schien nachzudenken. Obgleich man ihr das entbehrungsreiche Leben ansah, war sie alles andere als unansehnlich und noch dazu viel gepflegter und sauberer als er vermutet hatte. Seine Schätzung über ihr Alter musste ungefähr zutreffen wie er nun im besseren Licht feststellte. „Die meisten hassen euch, ja. Genau so wie ihr uns hasst. Aber haben wir nicht auch Grund dazu? Ihr kommt über den Fluss und jagt unsere Leute, ihr nehmt sie gefangen oder tötet sie. Wir wehren uns, findest du das falsch? Für jede Wunde die wir einem der euren schlagen tötet ihr einen der unsrigen. Für jedes Stück Vieh das wir mit viel Glück von euch nehmen, führt ihr eine Strafexpedition über den Fluss und vernichtet ganze Existenzen.“ Er zuckte leicht zusammen als sie Verbände aus langen geflochtenen Blättern um seine Beine wickelte. „Und ihr bestehlt uns und habt keine Skrupel, jeden von uns zu töten wenn ihr nur die Möglichkeit bekommt. In den Geschichten ist belegt, dass bei allen großen Kriegen die aus dem Osten gegen das Reich geführt wurden stets die euren involviert gewesen sind. Und auch in jüngerer Zeit haben eure Leute uns bekämpf wo sie nur konnten. Der Ritter höchst selbst musste sich schon manch eines hinterhältigen Angriffes erwehren.“ Sie zog den Verband straff und sah in traurig an. „Wusstest du, wie wir das Land westlich des Flusses nennen? Hirschfurten heißt es nur bei euch. Für uns ist es das verlorene Land. Denn lange bevor euer erster König alles Land vom Meer im Westen bis zum großen Fluss im Osten unterwarf lebten auch unsere Vorfahren dort. Sie aber wollten sich nicht unterwerfen lassen, nicht den neuen Glauben tolerieren und keinen Tribut an den fremden König entrichten. Dafür mussten sie das Land verlassen auf dem ihr nun lebt. Dafür wurden sie in die Sümpfe getrieben.“ So hatte er die Sache noch nie betrachtet. Aber schließlich musste ja jedes Volk seine Legenden haben. Dennoch fiel ihm nichts wirklich Geistreiches zur Entgegnung ein und so wechselte er das Thema. „Danke wegen meiner Beine. Es brennt ein wenig, aber, nun ja, du kannst das richtig gut, oder?“ Sie schmunzelte ob des Richtungswechsels des Gespräches, schien sich daran aber nicht zu stören. „So wie du bewaffnet durch die Wildnis streifst und die Befehle deines Herrn ausführst sammle ich Kräuter und verstehe mich auf die Wundheilung. Jeder hat seine Aufgabe, auch bei uns. Ich lebe hier für mich und bin für andere nützlich, dafür lassen mich die Kerle in Ruhe und ich werde bei Jagderfolgen der umliegenden Siedlungen nicht vergessen. Hast du Hunger? Es ist nur Fischsuppe, aber ich bin der Meinung, sie ist ganz schmackhaft.“ Sie wartete seine Antwort nicht ab und schob ihm eine dampfende Schüssel entgegen. Es roch köstlich und er nickte dankbar. Er kostete und der erste Eindruck bestätigte sich. „Das ist vorzüglich. Und ich weiß wovon ich spreche, denn da wo ich herkomme versteht man sich auf gutes Essen.“ Sie lachte. „Ja, das ist bekannt. Ein Wunder dass ihr nicht alle fett seid wie Sumpfkröten, wenn das zutrifft was man sich so erzählt. Jetzt bist du an der Reihe, was hat dich hergeführt, nur der Befehl einen von uns zu fangen oder zu töten? Und warum bist du alleine? Ihr geht doch niemals mit weniger als Dreien über den Fluss?“ Die Wärme der Suppe vertrieb nun endlich Schrecken und Erschöpfung aus seinem Körper und er fühlte sich behaglich, wenn auch unendlich müde. „Mein Offizier und mein Kamerad sind tot. Wenigstens fünf von deinen haben uns aufgelauert. Ich konnte mit mehr Glück als Geschick entkommen. Aber wir wollten gar niemanden töten. Der Befehl lautete ausdrücklich unauffällig zu bleiben. Nach Artefakten Ausschau zu halten und mit neuen Erkenntnissen schnell zurück…“ Er biss sich in die Lippe und fluchte leise. Sie lachte. „Da hast du wohl deine geheime Mission verraten. Warte, ich renne schnell zur nächsten Siedlung und erzähle, welch gewichtige Pläne ihr hier verfolgt.“ Er sah sie verdutzt an, wusste aber nichts zu antworten. „Keine Sorge mein redseliger Freund. Es ist allgemein bekannt dass dieses Land voll von alter Magie ist und die Relikte früherer Tage durchaus noch zu finden sein können. Und es ist mir auch gleich. Also entspann dich, denn ich werde niemanden etwas sagen. Weißt du, es gibt so viele alte Legenden, zum Beispiel um die Insignien des Schattenkönigs, den Blutsee, Gautatyrs Herz, die Mondklinge und so viele andere Dinge und Orte von unglaublicher Macht. Manche sind wahr, manche nur Märchen. Doch allen ist eines gemein, nämlich die Tatsache, dass niemand der euren und vor allem nicht euer selbstzufriedener Ritter es jemals schaffen könnte, die darin liegenden Mächte freisetzen und für sich zu nutzen.“ Sie grinste ihn breit an. „Ihr seid zu, naja, zu profan und zu geistlos. Warum sollte es mich oder andere also scheren, wenn plötzlich eines dieser Kleinodien in eure Hände fällt? Bestenfalls für euch passiert nichts, schlimmstenfalls richtet ihr Schaden unter den euren an.“ Er schüttelte den Kopf. „Dir ist das alles also egal? Das scheinen nicht alle so zu sehen die hier leben. Die fünf die meine Truppe überfallen haben hatten weniger Langmut mit uns. Und das ist der Grund, aus dem unser Ritter, und nicht erst er, lieber auf Prävention setzt als nur darauf, zu reagieren wenn wieder etwas vorgefallen ist. Bis dann irgendwann wieder zum Krieg geblasen wird.“ Sie sah ihn ausdruckslos in die Augen. „Wie vorausschauend von eurem Ritter. Und weil manche von uns die Tyrannei von jenseits des Flusses nicht hinnehmen wollen, müssen viele leiden. Sage mir, wenn du nicht mit zwei anderen sondern zwanzig gekommen wärst und ihr hättet mich gefunden, was wäre dann passiert? Hättet ihr nur meine Hütte verbrannt oder hätte ich auch gleich mitkommen dürfen, um befragt zu werden und vielleicht als Trophäe über dem Tor eurer großen Burg zu enden? Denn das ist was uns passiert wenn wir in eure Hände geraten. Überlege dir die Antwort gut und überlege dir auch, ob das was du dazu zu sagen hast deinem Gerechtigkeitsempfinden entspricht.“ Er senkte den Blick, denn obgleich er kein Veteran war wusste er nur zu genau, welche Wahrheit in ihren Worten steckte. Der Ritter setze darauf, lieber frühzeitig die Gefahren der Ostlande zu erkennen und im Keim zu ersticken ehe sich eine wirklich ernstzunehmende Bedrohung entwickeln konnte. Dazu gehörte auch, potenzielle Gefahrenquellen im Feindesland ausfindig zu machen und zu vernichten. H-RAVE, die Hirschfurtener Ranzler Aufklärung und, ja und auch Vernichtungs-Einheit. Das war ihre Aufgabe. Während in seiner Heimat Heldenlieder über die Kämpfer jener Truppe gesungen wurden, musste der Name diesseits des Flusses einen Garant für Furcht und Schrecken darstellen. Aber war es denn falsch von seinem Herrn, alles zu tun um die Heimat zu beschützen, notfalls zum Leidwesen anderer? Und hatte der Herr nicht in den letzten Jahren bewiesen, dass ihm an verantwortlichem Handeln gelegen war und nicht daran, sinnlos Ressentiments zu befeuern. Er hatte sich in fernen Landen mit dem unwahrscheinlichsten Verbündet was nur möglich war, nämlich mit wilden Barbaren die mitnichten auch nur den Treppenabsatz dessen bestiegen hatten, was so gerne als die Leiter der Zivilisation bezeichnet wurde und auf der Hirschfurten und das Reich bereits luftige Höhen erklommen hatten. Und dennoch, irgendwie vermochten es ihre Worte, in tief in seiner Seele zu berühren und tatsächlich sein Gewissen zu belasten. Er blickte auf und sah eine freundliche, intelligente und gegen die Waffen und den Stahl seiner eigenen Leute doch so machtlose junge Frau die einfach nur ein friedliches Leben führen wollte. Ein Leben ohne Furcht vor solchen Menschen wie ihm selbst. Er konnte seine Augen nicht länger auf sie richten und sah ins Feuer. Resigniert schüttelte er den Kopf und zuckte mit den Schultern. Dann legte er sich auf die Seite und schlief, den Blick noch lange auf die Flammen gerichtet ein.

Er durchlief eine ganze Reihe außerordentlich bizarrer Traumsequenzen die stets den Krieg und den Tod von Unschuldigen thematisierten. War er einmal ein blutrünstiger Soldat, gerüstet mit Stahl und in der Hand ein Schwert von dem das Blut von Frauen und Kindern nur so troff so war er im nächsten Moment ein wehrloser Alter, erfüllt von kaltem Entsetzen angesichts der Grausamkeiten ganzer Scharen grüngewandeter Schlächter. Über all dem dröhnte stets dass laute Knallen des im Sturm gepeitschten Hirschbanners und ein düsterer Schatten legte sich von Westen weit über das versengte und geschundene Land. Ein Gefühl unendlicher Ohnmacht ergriff ihn doch er konnte weder dem Schrecken entfliehen noch irgendetwas tun um den Grausamkeiten Einhalt zu gebieten. Dann wechselte der Ort des Geschehens und er befand sich vor der großen Halle von Hirschburg. Aus dem Inneren erschallte das Gelächter eines Festes mit Musik und Gesang. Er trat hinein und die Melodien und Stimmen erstarben. Der Saal war voll von seinen Freunden, Kameraden und seiner Familie, und in ihrer Mitte saß auf dem grünen Thron seiner Ahnen der Herr, die Hand mit dem Siegelring ihm entgegen haltend um seine Treue einzufordern. Alle Augen waren auf ihn gerichtet, wartend, erwartend. Er schritt langsam voran und blieb vor dem Thron stehen. Auf ihm lag der stechende Blick des Ritters und es war ihm als läge in dessen Zügen sämtliche Hybris der neuen Götter. Unterschwellig fühlte er die Aufforderung nun seiner Pflicht nachzukommen. Er wollte die ihm gebotene Hand ergreifen, doch als er den Arm hob begann Blut unter dem Silber des Siegels hervorzuquellen. Zunächst nur ein kleines Rinnsal, tropfte alsbald ein ganzer Schwall dunkel auf den Steinboden herab. Aus dem Gesicht seines Herrn war eine von Gier zerfressene Fratze geworden die kaum mehr Ähnlichkeit mit einem Menschen aufwies. Angewidert sah er auf und nun endlich vermochte er zu sprechen. Es war nur ein Wort, das er immer wieder herausbrachte: „Nein!“ Immer und immer wieder kam es von seinen Lippen bis er es schließlich geradezu Schrie.

Er erwachte schreiend und schweißgebadet. Für einen kurzen Moment wusste er nicht wo er war, dann aber kam die Erinnerung zurück und er sah sich mit gehetztem Blick in der kleinen düsteren Hütte um. Durch den Rauchauslass und den nicht vollständig verhangenen Eingang drang helles Tageslicht hinein und in der Feuergrube glommen niedrige Flammen aus einigen kleinen Zweigen hervor. Die Luft war warm und es roch nach Feuer und Kräutern. Ihm gegenüber saß seine Gastgeberin und sah ihn besorgt an. „Du hast lange geschlafen, …und unruhig. Nicht verwunderlich, du hast ja auch eine Menge erlebt. Geht es dir gut?“ Er starrte sie einen Moment lang an, dann fing er sich wieder. „Das ist es nicht. Ich habe geträumt. Es war, ich kann es nicht sagen, ich glaube ich muss eine Entscheidung treffen.“ Sie zog eine Augenbraue hoch und sah ihn fragend an. Er ordnete seine Ausrüstung und verharrte mit dem Blick auf seinem Schwertgriff. „Ich habe dir gestern nicht geantwortet. Jetzt tue ich es. Das was du gesagt hast, nun, du hattest recht. Ich bin Schwurmann einer Sache die, ..die nicht gerecht ist.“ Er konnte nicht weiter sprechen, doch das Gefühl, eine schwere Last losgeworden zu sein breitete sich in ihm aus. Sie erhob sich, trat hinter ihn und legte ihre Hände auf seine Schultern. „Ein Mann muss seinem Gewissen folgen. Wenn du dies tust, nun, dann ist es gut. Ich möchte nicht, dass du mein Feind bist. Ich will, dass du mein Freund bist.“ Mit den letzten Worten war sie sehr nah an ihn gerückt und ihr Griff hatte sich verstärkt. Der Duft von wilden Rosen stieg ihm in die Nase und nach den vergangenen Tagen des Todes, der Schrecken und Erkenntnisse war die Nähe eines Menschen alles wonach er sich im Augenblick sehnte. Er griff an seinen Gürtel und löste den kleinen Wimpel, der säuberlich daran festgeschnallt war. Er betrachtete ihn und musste feststellen, dass sein Irrweg durch den Sumpf und die Wildnis nicht spurlos an der filigranen Stickerei vorbei gegangen war. Ein dünner Riss zog eine schmutzig ausgefranste Grenze zwischen dem stolzen Hirschkopf und den goldenen Schlüsseln. Er fuhr mit dem Finger darüber und verharrte auf der so vielsagenden Unebenheit. Einst hatte er das kleine Stück Stoff voller Stolz entgegen genommen und seinen Eid auf Ritter und Reich geleistet. Jetzt aber wusste er nichtmehr, ob er jemals der gerechten Sache gedient hatte. Doch er musste sich entscheiden. Er ballte die freie Hand zur Faust und warf den Wimpel in die Flammen. Der weiße Stoff färbte sich erst braun um dann mit einem mal lichterloh aufzuflammen. In seinem Herzen fühlte er einen Stich und eine seltsame Taubheit erfüllte ihn. Sie zog ihn näher zu sich. „Es mag dir immer noch falsch erscheinen, aber was du getan hast war mutig.“ Sie suchte seinen Blick. „Du hast deine Entscheidung getroffen. Pack deine Sachen zusammen und komm mit, ich muss dir etwas zeigen und wir haben nicht allzu viel Zeit. Auf dem Weg hast du viel Gelegenheit zum Nachdenken.“ Sie packte ein kleines Bündel und ging in Richtung Eingang. Als sie das Leder wegschob flutete helles Tageslicht hinein und der Gesang von Vögeln erfüllte die dunstige Luft. Er nahm die Teile auf die nicht an seinem Gürtel gehangen hatten und sah ein letztes Mal in die Glut. Von seinem alten Leben war nur weiße, langsam zerfallende Asche übrig.

Mit dem Schicksal hadernd folgte er stumm ihren Schritten durch das langsam von der Dämmerung heimgesuchte Moor. Er hatte in der Tat den halben Tag verschlafen, fühlte sich dafür aber auch ausgeruht und erfrischt, zumindest wenn man von der düsteren Stimmung absah, die sich über seine Gedanken gelegt hatte. Er wusste nicht, wohin sie ihn führte, doch seine Neugierde ließ ihn angestachelt von der neu gewonnenen Freiheit die verrücktesten Phantasien ersinnen. Anmutig schritt sie vor ihm durch die Sumpflandschaft und mit der Zeit ließ sich auch ihr Ziel erahnen. Ein gedrungener Hügel der bewachsen mit allerlei Dickicht und Dornicht aus einem mit Schilf fast zugewachsenem See herausragte. Als sie das Ufer erreichten war es fast dunkel. Sie blieb vor einem unter Hainbuchen verborgenem Floss stehen und sah ihn aufmerksam an. In den letzten Strahlen der Abendsonne sah sie bezaubernd aus dachte er. Hätte sie nicht das grobe Kleid getragen sondern ein edleres Gewand hätte man sie jenseits des Flusses für eine Herrin halten können. Andererseits unterstrich gerade die einfache Kleidung die natürliche Schönheit ihres Körpers. Zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch richtete sie nun wieder das Wort an Ihn. „Deine Entscheidung steht?“ er nickte. „Gut. Dann komm mit. Sie wies ihm, mit ihr auf das Floß zu steigen und drückte es mit einer langen Stange und offenkundiger Übung vom Ufer ab. Wenige Augenblicke darauf erreichten Sie die kleine Insel. Vom Ufer führte ein schmaler Pfad durch die Büsche hinauf. Anstatt voran zu schreiten blieb sie jedoch stehen. „Geh hinauf, ich werde dir gleich folgen. Du kannst unbesorgt sein, dort oben erwartet dich niemand und die Kreaturen der Sümpfe meiden die Nähe dieses Ortes.“ Er nickte und machte sich an den Aufstieg. Der Weg war kaum breit genug für einen ausgewachsenen Mann, dafür aber klar zu erkennen. Denn auf dem dünnen Pfad, der scheinbar bereits Generationen von Besuchern gedient hatte um den Hügel zu erklimmen, war der nackte Fels freigelegt und glatt abgetreten. Von den Haselbüschen und Dornensträuchern hoch überwachsen kam es ihm vor als wandle er durch einen dunklen Tunnel, hin zu einem ungewissen Ziel. Dann endete der Hohlweg unversehens und gab den Blick auf eine vollkommen von dichter Vegetation umfriedete Lichtung frei, die vom aufkommenden Mondlicht zauberhaft geradezu überflutet wurde. Der Mond war nun voll und keine einzige verirrte Wolke hinderte ihn daran, diesen unwirklichen Ort vollkommen in sein mildes Licht zu tauchen. Er hatte immer etwas übrig gehabt für die Schönheit der Natur, doch dieser Ort sprach ihn in einer ganz besonderen Weise an. Die ganze Fläche war mit weichem, duftendem Moos bewachsen, das selbst ohne das Licht der Sonne eine wohltuende Abwechslung zum unendlichen Sumpfland der Umgebung bot. In der Mitte der Szenerie lag ein großer flacher Steinquader. Er war etwa kniehoch und maß annähernd zwei Schritt in der Länge und einen in der Breite. Die Oberfläche war vollkommen glatt poliert und schimmerte im Mondlicht wie Obsidian. Entlang der Ränder waren Symbole eingeritzt die entfernt an Schriftzeichen erinnerten, aufgrund ihrer verspielten Linien jedoch auch reine Zierde hätten darstellen können. Er strich darüber und fühlte kühlen, aber nicht unangenehm kalten Stein. Der durchdringende Schrei eines Nachtvogels ließ ihn auffahren und sich umblicken. Am Zugang zu der Lichtung war seine Begleiterin erschienen. Doch das Bild was sich ihm bot ließ ihm den Atem stocken. Anstatt des groben dunklen Kleides trug sie nun ein strahlend weißes Gewand aus feinem Stoff. Fast bodenlang, dafür aber an den Seiten geöffnet und nahezu durchscheinend gab es mehr von dem preis was darunter lag als es zu bedecken. Anmutig und mit der Andeutung eines Lächelns auf den Lippen schritt sie näher und blieb erst einen Spann weit vor ihm stehen. Als er dazu ansetzte etwas zu sagen hob sie die Hand und legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen. „Psst, dies ist ein heiliger Ort. Bitte entweihe ihn nicht mit deiner Stimme. Das hier habe ich für dich.“ Um ihr Handgelenk hatte eine dünne silberne Kette gelegen die sie nun hochhielt um sie ihm um den Hals zu legen. Er ließ es geschehen. Dann trat sie zurück du betrachtete scheinbar zufrieden ihr Werk. „Sie ist aus Mondsilber und ein Zauber liegt auf Ihr. Wer sie trägt muss mir zu Willen sein. Nun leg dich auf den Altar!“

Der Ton ihrer Stimme, gerade noch sanft und leise war nun herrisch und befehlend. Er wollte aufbegehren, doch sein Körper tat was von ihm verlangt wurde und legte sich gehorsam auf den glatten Stein nieder. Er spürte die Begegnung mit dem harten Untergrund, fühlte wie sich Muskeln und Sehnen spannten und bewegten, doch er hatte keine Macht über dieses Tun. Er wollte Sprechen, doch auch sein Mund gehorchte ihm nicht. Als er vollends ruhig lag trat sie neben ihn und sah herab. Dann begann sie langsam ihn zu entkleiden, während sie mit einer Stimme aus der jegliche Wärme gewichen war zu ihm sprach. „Bist du verwirrt, wünschst du zu verstehen was nun passiert? Hast du etwas anderes erwartet? Ich muss dich enttäuschen, denn das ist nicht was du bekommen wirst. Dich erwartet größeres.“ Er lag nun vollkommen schutzlos unter ihr und spürte die Kühle des Steines in seinem Rücken und seinen Beinen, spürte die Wärme ihres Körpers als sie sich auf ihn setzte und konnte nicht einmal die Lieder regen, während seine Augen gebannt auf sie starren mussten. „Eure Herzen sind so schwach, euer Wille ist so leicht zu brechen. Ein paar kühne Worte, ein warmes Lächeln und ein unschuldiger Augenaufschlag und ihr vergesst alles was euch ach so groß macht. Und du hast es mir noch nicht einmal schwer gemacht. Ich habe dich nicht belogen als ich deine Fragen beantwortet habe. Manche von uns hassen euch. Nach meiner Meinung hast du jedoch nicht gefragt. Willst du sie hören? Ich hasse euch, ja, sehr sogar. Aber ich will keinen Krieg. Ich werde andere Mächte nutzen um an mein Ziel zu kommen. Und du hilfst mir dabei.“ Nun hielt sie einen dünnen silbernen Dolch in sein Blickfeld. „An diesem Ort wurde meiner Göttin schon geopfert bevor der erste König Harald das Reich gründete, ja schon lange bevor überhaupt Menschen an den Furten siedelten. Wer hier opfert erhält eine Macht, die ihr noch nicht einmal zu erfassen vermögt. Denn die Göttin ist großzügig wenn sie das bekommt wonach es ihr verlangt. Und du wirst mein Geschenk an sie sein. Voller Leben, voller Träume und voller Hoffnung.“ Der Dolch verschwand aus seinem Blickfeld und er spürte einen brennenden Schmerz unter seinen Rippen. Als er ihre Hand wieder sah war diese rot. Sie leckte genüsslich das Blut von der Klinge und unterbrach es dabei nicht, ihm weiter wie gebannt in die Augen zu sehen. „Das Schicksal hat dich zu mir geführt und dein Opfer wird mir helfen, jene zu vernichten denen du die Treue gekündigt hast.“ Jetzt grinste sie breit und lachte, wobei ihr blutverschmiertes Gesicht dem einer gierigen Dämonin glich. „Ja, in deinem Herzen hast du deinen Schwur gebrochen. Und im Feuer meiner Hütte hast du das verbrannt, was dich ausgemacht hat. Dein Blut stillt den Durst meiner Göttin, deine Seele aber ist für immer verloren!“ Sie lachte laut auf als ihre Hände wieder nach unten glitten und er erneuten unendlichen Schmerz spürte. Dann hörte er nur noch ein lautes Rauschen und langsam schwanden ihm die Sinne, als vor seinen Augen und unter ekstatischer Verzückung seiner Mörderin sein noch schlagendes Herz in Richtung Mond gehoben wurde…

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